Monatsrückblick März 2022-ein Monat, der keiner war

Ukrainische Demo vor der Oper

Noch nie ist die Zeit für mich so schnell und gleichzeitig so langsam vergangen wie in diesem Kriegsmärz 2022.

Für die meisten Menschen in der Ukraine teilte sich die Zeit in vor dem 24.02.2022 und danach, denn nichts war mehr wie früher. Auch für mich als gebürtige Ukrainerin, obwohl ich schon seit über 20 Jahren in Deutschland lebe. Es begann eine neue Zeitrechnung, und tatsächlich werden Kriegsberichte in der Ukraine immer tageweise nummeriert, z. B. heute ist der 48. Tag des ukrainischen Widerstandes. In einem inzwischen 8-jährigen Krieg, der Jahrhunderte andauert.

Seit dem Kriegsbeginn verbringe ich unfassbar viel Zeit online, checke die Nachrichten, lese und schreibe Kommentare und teile Dinge, von denen ich denke, dass die Welt sie unbedingt erfahren muss. Ich fühle mich abwechselnd tief deprimiert angesichts der Gräueltaten der russischen Armee, stolz auf den unbeugsamen Kampfwillen und Zusammenhalt der Ukrainer, dankbar für die weltweite Unterstützung und wütend, wenn russische Propaganda in öffentlicher Diskussion unreflektiert als „Meinung“ verbreitet wird.

Zwischen dem obsessiven Nachrichtenkonsum schaffe ich es gerade noch, das Nötigste zu erledigen, der Verkauf meiner Nahrungsergänzungsmittel und mein Blog (!!!) liegen auf Eis. Meine Blogger-Kolleg:innen in The Content Society legen ein atemberaubendes Tempo hin, sodass ich kaum mithalten kann. Ich habe einfach keinen Nerv, mich darum zu kümmern. Überhaupt erscheint mir unser normales Leben so banal, und ich habe fast ein schlechtes Gewissen, dass es mir hier in Deutschland so gut geht. Während wir hier weiter unser Leben leben, erleben viele Menschen in der Ukraine eine Hölle auf Erden, sie müssen ein unvorstellbares Leid ertragen, das sich kaum in Worte fassen lässt.

Einmal gehen wir nach einer Demo in München mit den Freunden ins Hofbräuhaus, es tut unbeschreiblich gut und fühlt sich gleichzeitig seltsam normal an, diese ausgelassen feiernden Menschen zu sehen. Wie mittendrin in einem Kriegsfilm, wenn mal die Frontszenen und mal die friedlichen Szenen aus dem Hinterland gezeigt werden.

Feiern im Hofbräuhaus
Ich musste an ukrainische Soldaten an der Front denken, als ich die ausgelassen feiernden Briten im Hofbräuhaus sah.

In den ersten Kriegstagen bin ich wie gelähmt und kann einfach nicht fassen, dass es wirklich passiert. Obwohl das nichts Neues war, denn Russland hat schon 2014 die Ukraine angegriffen und der große Krieg sich schon seit langem abzeichnete.

Der ukrainische Widerstand ist episch und erfüllt mich mit Hoffnung

Als Russland 2014 die Ukraine angegriffen hat (ja, das war ein russischer Angriff und kein Bürgerkrieg, wie es hier lange genannt wurde), entstand ein weltweites Phänomen, das man auch jetzt wieder intensiv beobachten kann. So gut wie alle Ukrainer, auch im Ausland, haben sich plötzlich für ihre Heimat persönlich zuständig gefühlt, und jeder hat irgendwie mitgeholfen. Mit Geld, Sachspenden, Informationen, politischen Aktionen oder direkt beim Militär. Unabhängig vom Alter, Einkommen und politischer Gesinnung hilft buchstäblich das ganze Volk mit. Diese Fähigkeit zur Selbstorganisation der zivilen Gesellschaft ist phänomenal und wird sicher eines Tages verfilmt und in zahlreichen Büchern verarbeitet. Und sie ist einer der Hauptunterschiede zur russischen Gesellschaft, die sehr hierarchisch organisiert, obrigkeitshörig und passiv ist.

Etwas zu unternehmen, wirksam zu sein, egal wie klein der geleistete Beitrag war, hat damals vielen geholfen, nicht verrückt zu werden. Und es war ein unbeschreiblich gutes Gefühl, ein Teil dieser Bewegung zu sein. In meiner Verzweiflung habe ich natürlich auch mitgemacht, oft ohne Plan, z.B. bin ich eines Tages einfach von Apotheke zur Apotheke, vom Altenheim zu Altenheim, von Arztpraxis zu Arztpraxis gezogen und nach Hilfe für die Ukraine gefragt. Ich muss wirklich verzweifelt und überzeugend gewesen sein, denn oft wurde tatsächlich geholfen!

Einige dieser Unterstützer haben auch noch die Jahre danach geholfen, aber ingesamt wurde irgendwann aus einem breiten Strom ein kleiner Bach. Nicht, dass es keinen Bedarf gab, der Krieg verwandelte sich nur in einen lokal begrenzten „eingefrorenen Konflikt“ und die Menschen wurden kriegsmüde.

Das änderte sich nun schlagartig. Nach der kurzen Schockstarre sind diese Strukturen vollständig aktiviert, Tausende von Menschen gehen auf die Demos, unzählige Transporte mit humanitären Gütern machen sich auf den Weg, und diesmal ist die Solidarität weltweit einfach überwältigend.

Was ich tue, ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber viele Tropfen zusammen sind wir ein Ozean“

Ukrainische Nationalphilosophie in Krisenzeiten

Ich kontaktiere die „alten“ Unterstützer und es kommt einiges an Hilfe zusammen. Einige kommen von selbst auf mich zu. Wir gehen mehrmals auf die Demos in München, und ich halte sogar zweimal die Rede, und das als öffentlichkeitsscheue Person.

Geschichtsträchtige Tage-und wir sind mittendrin

Ich könnte mich dafür ohrfeigen (und es geht nicht nur mir so), dass wir die Welt nicht vorher aufgeweckt haben, und erst die schrecklichen Bilder und viele Tote nötig waren, damit in der europäischen Öffentlichkeit ein laaangsames Umdenken bezüglich Russland stattfindet. Diesmal müssen wir wirklich dranbleiben und dem bösen Imperium unbedingt seine Giftzähne ziehen, bevor es die menschliche Zivilisation zerstört. Ich übertreibe nicht.

Faschistisches Russland ist eine Bedrohung für die ganze Welt, es hat der menschlichen Zivilisation nichts anzubieten außer Tod, Leid und Zerstörung. Jegliche Zugeständnisse an Putin würden bedeuten, dass das Böse weiter um sich greift. Sollte die Ukraine wirklich verlieren (was ich nicht glaube), nimmt sich Putin oder sein Nachfolger baltische Staaten, Moldova und Polen an. Danach geht es Richtung Berlin und weiter.

Wer das nicht glaubt, soll sich das russische „Konzept“ Eurasien anschauen. Hier ist die Ideologie des sogenannten „russkij mir“ gut zusammengefasst (das russische Wort „mir“ hat eine doppelte Bedeutung: die Welt und der Frieden). Jeden Tag können wir sehen, wie das ganz praktisch aussieht.

Große Sorge um Familie und Freunde in der Ukraine

Grob gerechnet kenne ich mehrere Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen in der Ukraine persönlich: Verwandte, Freunde, Studienkollegen, frühere Nachbarn. Die allermeisten leben im Westen, wo es noch relativ sicher ist, doch auch dorthin fliegen inzwischen russische Raketen. Es gibt jeden Tag mehrmals Luftalarm, die Situation wird immer angespannter. Trotzdem suchen sehr viele Menschen aus den umkämpften Gebieten Zuflucht in der Westukraine, die aus verschiedenen Gründen nicht ins Ausland wollen.

Wir bereiten uns darauf vor, mehrere Verwandte aufzunehmen, aber nur meine Mutter und meine Nichte entscheiden sich, nach Deutschland zu kommen. Sehr viele waren noch nie im Ausland, sind alt und krank und wollen den beschwerlichen Weg nicht auf sich nehmen.

Marianna Sajaz
Meine Nichte bereitet sich seit zwei Jahren sehr intensiv auf das Abitur vor.
Die Prüfungen sind nun abgesagt und ihre Zukunft ist ungewiss.
Warenyky
Meine Mutter flieht aus der Ukraine zu uns und macht erstmal Warenyky (ukrainische Teigtaschen) mit ihren Enkelkindern

Einer nahen Verwandten von uns gelingt die Flucht aus der Hölle um Kyjiw, nachdem sie mit ihren zwei kleinen Kindern zwei Wochen im Keller verbracht hat, ohne Heizung, Strom und Lebensmittel. Sie will die Ukraine ebenfalls nicht verlassen und lebt jetzt in einem alten Haus in Transkarpatien.


Was sonst noch los war

  • Corona erwischt uns alle, auch meine ungeimpfte Mutter, die aus der Ukraine geflüchtet ist. Zum Glück geht alles glimpflich aus.
  • Ich muss meine Reise zum Freiwilligen-Treffen in Kopenhagen wegen des Krieges absagen.
  • Es gibt viele Bilder in diesem März, die mein Herz erwärmen und gleichzeitig brechen, z.B. wie die flüchtenden Menschen versuchen, ihre Haustiere zu retten, die Verzweiflung und die Leere in den Augen der Kinder, viele Tote und Verletzte.

Von Marianna

Hi, ich bin Marianna Sajaz. Ich bin Lehrerin, Politologin, Bloggerin und Selbstfürsorge-Coach. Ich schreibe über Bewusstsein, praktische Spiritualität und Gewohnheiten. In einem kostenlosen Impulscoaching zeige ich dir, wie dein Bewusstsein zum besten Verbündeten in deinem Leben wird. Wenn du deine Gewohnheiten ändern möchtest und dabei Unterstützung brauchst, melde dich für das kostenlose Webinar "10 Hacks for Habit Change".

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